Oberhalb des israelischen Militärfriedhofes – auf welchem
den gestorbenen Soldaten der Befreiungskriege, aber auch Kämpfer gegen
Nazideutschland gedacht wird – steht – nach einem weiteren Abschnitt für die
politischen Führer des Staates Israel – das Grab Theodor Herzls und seiner
Familie. Das Grab des Begründers der zionistischen Bewegung erhebt sich auf dem
höchsten Punkt des Herzl-Berg für sich allein und ist – für jüdische Grabmäler
untypisch – mit Pflanzen umgeben. Von diesem Berg ausgehend, kann man einem
Pfad folgen, der einzelne Stationen der Staatsgründung Israels darstellt und zu
der eigentlichen Stätte führt von der ich heute berichten möchte: Yad Vashem.
Am 06. September besuchten wird die Gedenkstätte der Shoa,
welche 1953 gegründet wurde und seit dem Museumsumbau 2005 sich ganz neu
darstellt. Eigentlich ist das Gelände ein Zusammenschluss mehrerer
Gedenkstätten, welche die verschiedenste Schicksalsschläge der Juden in Europa
thematisieren: Ein Deportationswagen steht am Rande einer abgeschnitten
Eisenbahnbrücke; im Tal der Gemeinden sind auf die Felsblöcke die Namen der
verschiedensten jüdischen Gemeinden aufgeschrieben; die Halle der Erinnerung
enthält eine Gedenkflamme und nennt die größten Vernichtungslager; in der Halle
der Namen werden die Namen und Biographien der Opfer des Massenmordes gesammelt;
ein Gedenkplatz erinnert an den Aufstand im Warschauer Ghetto. Besonders
eindrücklich blieb mir das Denkmal für die Kinder im Gedächtnis. Der Weg führt
in die Dunkelheit hinab, wo mit Kerzen und Spiegeln ein Sternenhimmel erzeugt
wird und eine off-Stimme die Namen und Geburtsorte der ermordeten Kinder nennt.
Der Weg aus der Dunkelheit führt in das Tageslicht zurück. Der Kontrast von
Dunkel und Licht, Tod und Leben, Verzweiflung und Hoffnung: ein Motiv, auf das
vielen Gedenkstätten zurückgreifen. So auch das Museum. In einem langen
dreieckigen Bau wird die Geschichte der Shoa dargestellt. Das Ende der
Ausstellung thematisiert die Einwanderung und die Gründung des Staates Israel.
Umrahmt wird Anfang und Ende von einem Kinderchor der dreißiger Jahre, welche
die spätere israelische Nationalhymne singt. Der Weg führt in einer gewissen
Dunkelheit hinab zum tiefsten Punkt des Gebäudes, an welchem der Beginn der
Massenvernichtung thematisiert wird, und führt anschließend nach Ende des
Weltkriegs und der Staatsgründung hinaus in das Sonnenlicht zu einer Plattform,
von welcher auf man den Blick vom Berg hinab wirft. So wird wohl mit dem Motiv
gespielt, dass man nach den Schrecken des Terrors nun auf das verheißene Land
blickt, in welchem der Neuanfang begann. Auch sonst wird durch einzelne
Bibelstellen mit den Motiven des Exils und des Auszugs aus Ägypten gearbeitet,
allerdings wird der Gottesbezug ausgeklammert. Auch der Name Yad Vashem ist
biblisch und findet sich in Jes 56,4-5.
Ich komme wohl nicht darum, meine persönlichen Eindrücke zu
dem Besuch der Holocaust-Gedenkstätte zu schildern. Es war sehr überraschend.
Ich konnte dieses Museum mit in einer gewissen Distanz gegenüber dem Dargestellten
besuchen. Ich hatte nicht das Gefühl mich für meine Vorfahren rechtfertigen zu
müssen oder als "Kollektivschuldiger" gebrandmarkt zu werden. Ich
nehme an, dass die Aufarbeitung der Nazizeit in Deutschland doch ziemlich
umfangreich ist und man sich dieser auch in unserer Generation nicht entzogen
hat. Zumindest haben wir in unserer Schulzeit diese 12 Jahre mit all ihren
Schrecken in nahezu jedem Schulfach besprochen. Daher war der neue
Informationsgehalt relativ gering und ich entwickelte meine eigenen
Überlegungen zur Ausstellung. Zwei Gedankengänge möchte ich an dieser Stelle
mitteilen: Zum einen war ich wiedermal aufs Neue überrascht, wie "effektiv"
die nationalsozialistische Propaganda war. Seit der Machtübernahme wurden insb.
die Juden durch Propaganda in den unterschiedlichsten medialen Formen,
Gesetzgebung und ideologischer Erziehung, aber auch durch
"Alltagsgegenstände" wie thematisierten Gesellschaftspielen immer
weiter entmenschlicht. So schien mir auch die organisierte Vernichtung des
jüdischen Volkes im nazideutschen Einflussgebiet eine innerideologische "Konsequenz"
zu sein. Die Juden, als außerhalb der Gesellschaft stehend und des Lebens
unwürdig gedacht, propagiert und wohl auch geglaubt, wurden letzten Endes ihrer
ideologischen "Bestimmung" zugeführt. Für mich unterstrich der
lineare Aufbau des Museums diesen Gedankengang, allerdings bin ich mir relativ
sicher, dass dies nicht die Absicht der Konzeption war. Es bestätigte sich hier
die Aussage, dass nicht nur die Ideologen den Boden der Vernichtung genährt
haben, sondern vielmehr die schweigende Mehrheit, welche die Ideologie für sich
akzeptiert und nicht in Frage gestellt hat. Davon ausgehend musste ich mich
fragen, inwieweit wir heutzutage medial beeinflusst sind. Welche Ideologie
nehmen wir für bare Münze, halten sie hoch und hinterfragen sie nicht? Wo
müsste man aus objektiver Sichtweise Anfragen stellen und bereits jetzt
intervenieren, bevor man erneut als schweigende Masse auf das Glatteis geführt
wird und sich für eine menschliche Katastrophe rechtfertigen muss? Wird uns die
Welt von verschiedensten Mächten mit einer ideologischen Propaganda
präsentiert, die wir durchbrechen müssen, bekämpfen müssen, um ein dadurch
provoziertes Leid zu verhindern?
Ein anderer Gedankengang führte mich zur Betrachtung des
Menschen. Und ganz ehrlich: Ganz so gut schneidet unsere Natur nicht ab. Das
Pauschalurteil der Mensch sei genuin böse, ist sicherlich zu plakativ. Aber
wenn man sich anschaut inwieweit der Mensch sich seit diesen 80 Jahren
weiterentwickelt hat, muss man sich wirklich fragen, ob nicht eine
Lernresistenz dem Menschen zu Eigen ist. Es hat mich traurig gemacht zu sehen,
dass der Mensch im Angesicht dieser Katastrophe weiterhin in der Lage ist mit
rassistisch-ideologischen, (religiös-)fanatischen oder auch andere exklusiven
Argumenten, ganze Gesellschaftsgruppen auszuschließen. Ja – in einer gewissen
Form als "Untermenschen" zu charakterisieren und somit ihr Lebensrecht
abzusprechen. Wo bleibt das Menschenbild, welches in unserem Grundgesetz mit
den Worten "Die Würde des Menschen ist unantastbar" widergegeben
wird? Sind wir überhaupt in der Lage in Frieden miteinander zu leben oder ist
dies eine reine Wunschvorstellung – eine Illusion? Wie kann der "Kampf für
eine gerechte und friedliche Welt" gewonnen werden? Sicherlich wäre eine
Resignation der falsche Weg und die Hoffnung, dass "viele kleine Menschen,
die viele kleine Schritte tun das Gesicht der Welt verändern können" muss
aufrecht erhalten werden. Dennoch war ich nach dem Besuch in Yad Vashem wieder
einmal vom Menschen enttäuscht; und auch von seiner offensichtlichen
Unfähigkeit, selbst im Angesicht des größten Leids und Versagens der
Menschheit, Konsequenzen zu ziehen, um sich für ein allgemeingültiges friedliches Miteinander zu
engagieren.